dich hilflos. Machtlos. Und gleichzeitig irritiert, wütend. Du weißt, dass du Geduld mit ihr haben musst. Du erinnerst dich daran, was die Beraterin ge- sagt hat: Erwarten Sie nicht, dass Ihre Freundin sofort handelt und sich von ihrem Partner trennt. Haben Sie am besten gar keine Erwartungen. Seien Sie einfach für sie da. Aber das ist schwer. Manchmal liegst du nachts wach und denkst an sie. Du willst helfen, du willst sie da rausholen. Aber wie. Du liest alles, was du zu dem Thema finden kannst. In Foren schildern Frauen die Dinge, die ihnen ihre Partner angetan haben, doch wenn andere Frauen ant- worten, sie müssten diese Männer verlassen, sagen sie: Aber ist das nicht normal? Gehört das nicht dazu? Zeigt seine Eifersucht nicht, wie sehr er mich liebt? Einige haben Angst um ihre Kinder, Angst um ihr Leben. Du liest, dass Rihanna von ihrem Ex-Freund verprügelt wurde und diese blonde Schauspie- lerin, die in einer Serie Supergirl spielt, auch. Du denkst: Wenn das selbst Ri- hanna und Supergirl passiert, dann kann es wirklich jeder Frau passieren. Mittlerweile ist es Sommer und eines Tages taucht sie unerwartet auf. Du bist gerade dabei, eine E-Mail zu schreiben, als ein Kollege dir ausrichtet, dass vorne im Eingangsbereich jemand wartet. Ihr Gesicht ist ein kleines wei- ßes Oval, ihr Lächeln vorsichtig. Du trägst deinen professionellen Arbeitsbla- zer, in dem du dir immer ein wenig lächerlich vorkommst. Draußen ist es heiß, drinnen im Büro viel zu sehr runtergekühlt. Es ist fast halb eins, Mit- tagspausenzeit, also holt ihr euch einen Coffee-to-go und setzt euch auf eine schattige Bank im nahegelegenen Park. Ihr macht Small Talk. Du wartest. Sie dreht ihren Kaffeebecher in den Händen, betrachtet ihn eingehend. Plötzlich sieht sie dich direkt an. Es tut mir leid, sagt sie. Sie zögert und holt tief Luft: Gestern war es besonders schlimm. Er hat mitbekommen, dass ich mich heimlich auf einen Job beworben habe. Er… Sie spricht nicht weiter. Dir fällt auf, dass sie trotz der Hitze ein langärmeliges Oberteil trägt und ihren Arm so hält, als müsst er geschützt werden, so, als würde er weh tun. Sie beginnt zu erzählen. »Dir fällt auf, dass sie trotz der Hitze ein langärmeliges Oberteil trägt.« Von den ersten, rauschhaften Wochen und Monaten mit ihm. Davon, wie verliebt sie war. Davon, wie er sie mit Blumen überraschte oder einer Fahrt im Cabrio oder einem Wochenende in Lissabon. Davon, wie sie schon nach drei Monaten bei ihm einzog, weil es ihr richtig erschien, weil sie endlich ih- ren Traumprinzen gefunden hatte. Davon, wie er immer nur mit ihr alleine sein wollte, wie er sagte, er wolle sie nicht teilen, und wie schmeichelhaft sie das fand. Davon, wie sie erst gar nicht bemerkte, dass sich in der Beziehung etwas veränderte, nach und nach. Davon, wie er anfing, ihre Figur zu kritisie- ren, sagte, sie müsse ein paar Kilo abnehmen. Davon, wie sie mit ihm auf ei- nen beruflichen Erfolg anstoßen wollte und er sagte, so wichtig sei ihr Job nun auch wieder nicht. Davon, wie er immer öfter gereizt auf sie reagierte, sich über sie lustig machte. Davon, wie eifersüchtig er war, wenn sie von ei- nem Kollegen oder Freund erzählte. Davon, wie er das erste Mal ein Glas nach ihr warf und sie nicht glauben wollte, dass er wirklich vorhatte, sie zu treffen. Davon, wie er zum ersten Mal zuschlug und sie sich fragte, was sie getan hatte, um ihn zu provozieren. Davon, wie sie lernte, seine Stimmungen zu lesen, auf die kleinsten Details zu achten, damit er keinen Grund hatte, wütend zu werden. Davon, wie sie damit scheiterte, immer wieder. Davon, wie sie zum ersten Mal den Gedanken hatte, ihn zu verlassen. Davon, wie schuldig er sich nach jedem Vorfall fühlt, wie er Champagner kauft und sagt, jetzt würde alles anders werden. Davon, dass ihre Leistung im Job nachließ, 5